Bildungs-theoretische Grundlagen
Im unten stehenden Text gehen wir kurz darauf ein, wie Lernen aus neurowissenschaftlicher, neurobiologischer und lerntheoretischer Sicht funktioniert. Wir beziehen uns dabei auf bedeutende Forscher und Pädagogen der entsprechenden wissenschaftlichen Gebiete. Diese Grundlagen sind wichtig, um unser pädagogisches Handeln, die Haltung gegenüber den Kindern, die Auswahl und Kombinatorik der Lernmethoden sowie die Gestaltung des Lernortes besser zu verstehen.
Neurowissenschaftliche und neurobiologische Grundlagen
Aus neurobiologischer Perspektive bedeutet Lernen einen ständigen Aufbau von Neuronenpopulationen (Verbindungen zwischen Nervenzellen) im Cortex (Großhirnrinde). Es werden Neuronenverbände plastisch miteinander vernetzt, so dass sich komplexe Netzwerke und Systeme bilden, die durch Wiederholung gefestigt und effektiver genutzt werden können.
Bei allem, was mit Handeln zu tun hat, spielt das Bewertungssystem des Gehirns eine entscheidende Rolle. Daraus ergeben sich fünf Erfolgsfaktoren beim Lernen:
Die Rolle der Amygdala: [...] neu eingehende Informationen führen zu einem Grundgefühl der Sympathie oder Antipathie, woraus ein allgemeines Gefühl der Lust oder Unlust entsteht.
Die individuelle Begabung: Man kann das Gehirn trainieren, indem man mit einer jeweils zu einem selbst passenden Methode lernt.
Allgemeine Motivation des Lerners: In unserem Gehirn ist eine Struktur aktiv, die dafür zuständig ist, uns selbst realistisch einzuschätzen. Positiver Stress (Eustress) ist dem Lernen zuträglich und garantiert eine wache Aufmerksamkeit.
Grad der Aktivierung des Gehirns: Allgemeine oder gezielte Aufmerksamkeit, Neugierde und Konzentration führen zu Gedächtniskonsolidierung des Lernstoffes. Dabei lässt sich eine Korrelation zwischen der Stärke der emotionalen Motivation und der tatsächlichen Gedächtnisleistung nachweisen.
Kontext des Lernens:
Lehrperson: Wer vermittelt den Inhalt?
Zeitkontext: Wann wird der Inhalt vermittelt (Lebensalter, Biorhythmus)? Ortskontext: Wo wird der Inhalt vermittelt (Bewertung der Lernumgebung)?
(Ullmann, 2016)
Das eben aufgeführte lässt sich laut Margret Arnold in zwölf Prinzipien überführen. Demnach sind Lernprozesse effektiver, wenn...
... Kinder die Möglichkeit haben, konkrete Erfahrungen zu machen. ... die Lernprozesse in soziale Situationen eingebunden sind.
... die Interessen/Ideen der Kinder berücksichtigt werden.
... das vorhandene Vorwissen mobilisiert wird.
... positive Emotionen in das Lernen eingebunden werden.
... die Kinder den Zusammenhang mit einem Ganzen verstehen.
... die Lernumgebung entsprechenden gestaltet ist.
... Zeit zum Reflektieren bleibt.
... die Kinder Information und Erfahrung miteinander verbinden können.
... wenn auf individuelle Unterschiede der Lernenden eingegangen wird.
... in einer unterstützenden, motivierenden und herausfordernden Umgebung. ... Talente und individuelle Kompetenzen berücksichtigt werden.
Wer das Lernen gelernt hat, bringt eine wichtige Fähigkeit für das Erlernen von Berufen oder dem Studium komplexer Fächer mit.
Lerntheoretische Grundlagen
Im Wesentlichen gibt es drei klassische Lerntheorien, den Behaviorismus, den Kognitivismus und den Konstruktivismus. Diesen zugeordnet werden können alle Ansätze, die für uns und das Lernen/Arbeiten an unserer Schule besonders bedeutend sind und auf deren Grundlage wir unser gesamtes Lernsetting aufbauen. Im Folgenden gehen wir auf die für uns wichtigsten ein:
Lernen durch Beobachtung und Imitation: Die Sozialkognitive Lerntheorie (auch Lernen am Modell genannt) ist eine kognitivistische Lerntheorie, die von Albert Bandura entwickelt wurde. Es werden darunter Lernvorgänge verstanden, die auf der Beobachtung des Verhaltens von menschlichen Vorbildern beruhen. (Lern- Psychologie.de, kein Datum)
Eine positive emotionale Beziehung zum Vorbild begünstigt die Imitationsbereitschaft des Beobachters.
Lernen durch intrinsische Motivation: Intrinsische Motivation beinhaltet Neugier, Exploration, Spontaneität und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt und baut stark auf die Erfahrungen der Selbstwirksamkeit auf.
Der Selbstwirksamkeitstheorie wie auch der Selbstbestimmungstheorie kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Jemand, der eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung hat, geht anspruchsvollere Aufgaben und schwierigere Herausforderungen an. Erreicht er dabei gute Leistungen führt das wieder zu höheren Selbstwirksamkeitserwartungen. Können Handlungen frei gewählt werden, spricht man von selbstbestimmt oder autonom. Per Definition sind also intrinsisch motivierte Handlungen auch selbstbestimmte Handlungen. Die soziale Umgebung fördert das Auftreten intrinsischer Motivation, wenn sie die Bedürfnisse nach Autonomie und Kompetenz unterstützt. (Bandura, 1975)
Lernen durch Flow: “Flow” beschreibt einen Zustand höchster Motivation und ausdauernder Konzentration, der mit Glücksgefühlen einhergeht. Im Flow-Zustand erbringen Menschen Höchstleistungen und können ihr Potential entfalten. Csikszentmihalyi betont, wie wichtig es ist, dass die Tätigkeit spielerisch ist. Spielerisch in dem Sinn, dass „der Mensch, der sie vollzieht, kreativ und gestalterisch wirkt, [...] darin aufgeht und darin seinen freien Ausdruck findet“ (Csikszentmihalyi, 2010)
Auch Maria Montessori beschreibt diesen Prozess als einen Zustand tiefer Versunkenheit, oder “Polarisation der Aufmerksamkeit”, der durch drei Faktoren beeinflusst wird:
freie Wahl der Tätigkeit, geleitet durch Interessen und Bedürfnisse
lernen in einer geeigneten Umgebung
vertrauensvolle Beziehungen und Arbeitsatmosphäre
Es bedarf somit Lernbegleitern, die die Schüler aufmerksam wahrnehmen und Räume schaffen, damit diese sich voll und ganz ihrem Flow hingeben können.
Lernen im konstruktiven Prozess: Hier erlebt sich der Lernende als aktiver Gestalter seines Lernprozesses in einer positiven, entspannten Lernumgebung und in Kommunikation und Interaktion mit anderen. Dabei knüpft der Lernende an bereits Erlerntes an. Zu einem selbstgesteuerten, konstruktivistischen Lernprozess gehören immer Mitbestimmungsmöglichkeiten. (Reich)
Lernen durch Konnektivität: Die Kunst des Lernens besteht darin, verteiltes Wissen aufzuspüren, für sich nutzbar zu machen und konstruktiv in das eigene Wissensnetz einzubinden. Die Fähigkeiten, aktuelles Wissen durch Austausch mit anderen zu erlangen und Herausforderungen gemeinsam zu meistern, werden aus Sicht der Konnektivität wichtiger als das persönliche Wissen einer Person. “Die ständige Vernetzung bringt eine völlig andere Wissenskultur mit sich.” (CHECK.point eLearning, 2021)
Auf Basis dieser Grundlagen beschreiben wir im folgenden Teil wie Lernen an der Freien Schule geschieht.